Griff in die Geschichte (54)
100 Jahre „Hamburger Aufstand“ von 1923
von Wolfgang Kopitzsch
Im Zusammenhang mit der Absicht der KPD im Jahre 1923 im Deutschen Reich gewaltsam die Herrschaft zu übernehmen, kam es vom 23.10.1923 bis zum 25.10.1923 in Hamburg zu einem kommunistischen Aufstandsversuch, präziser zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei, vor allem der kasernierten Ordnungspolizei und kommunistischen Gruppen. Die militärische Führung der KPD-Gruppen hatte Hans Kippenberger, der durch den General der Roten Armee Lazar Stern beraten wurde. Die genauen Hintergründe der Aufstandsauslösung - im Gegensatz zu einem Beschluss der KPD-Führung - sind immer noch unklar. Es kann vermutet werden, dass der Hamburger KPD-Führer Ernst Thälmann weitgehend eigenmächtig den Aufstandsversuch ausgelöst hat. Die Parteiführung der KPD hatte bereits am 21.10.1923 beschlossen, den geplanten Aufstand nicht durchzuführen. Ursprünglich war als Ort des Aufstandsbeginns Kiel vorgesehen.
Die Unruhen begannen bereits in der Nacht vom 22. zum 23.10.1923 mit einigen Straßen- und Eisenbahnblockaden (Ahrensburg, Rahlstedt). Die kommunistischen Pläne sahen vor, zunächst am frühen Morgen die eher in den Außenbezirken und in ihren Hochburgen liegenden Wachen des Aufsichtsdienstes der Ordnungspolizei (ehemalige „Schutzmannschaft“) zu überfallen, um sich der dort lagernden Waffen zu bemächtigen. Die Wachen sollten in der Regel nicht besetzt und verteidigt werden. Mit den Waffen sollten dann zunächst die kommunistischen Hochburgen verteidigt werden, um anschließend die Kaserne der Hamburger kasernierten Ordnungspolizei im preußischen Wandsbek anzugreifen. Der Aufstand begann nach Plan mit Überfällen auf Polizeiwachen. Insgesamt wurden Überfälle auf 24 Polizeidienststellen versucht (Altona 3 Polizeiwachen, Wandsbek 1 Polizeiwache, Polizeiamt Schiffbek, Hamburg 17 Polizeiwachen und 2 Polizeiposten). Erfolgreich waren die Aktionen u.a. gegen die Polizeiwache I in Wandsbek, das Polizeiamt in Schiffbek - in dem sich allerdings keine Polizeibeamten aufhielten - gegen die Polizeiposten in Billbrook und Langenhorn, die Polizeiwachen 23 und 32 (Barmbek), 26 (Borgfelde), 42 (Eimsbüttel), 41 (Winterhude), 43 (Uhlenhorst), 28 und 45 (Hamm), 27 (Horn) und die Radfahrwache Hamm.
Alle besetzten Polizeiwachen wurde im Laufe der Vormittags- und Mittagsstunden des 23.10.1923 von der Polizei wiederbesetzt. Heftigere Auseinandersetzungen gab es in Eimsbüttel, Barmbek und Schiffbek.In Eimsbüttel konnten die Auseinandersetzungen gegen Mittag des 23.10. beendet werden. Länger dauerten sie in Barmbek (bis zum Vormittag des 24.10.), Schiffbek (24.10.) und Bramfeld (25.10.) Außer Hamburger und preußischer Polizei wurde auch die Landungsabteilung des Kreuzers „Hamburg“ am 24.10. bei der Aktion gegen Schiffbek eingesetzt. Aufgrund unzureichender Lageanalysen und zu geringen Kräfteeinsatzes gelang es der Polizei erst im Laufe des 24.10.1923 die Unruhegebiete wieder unter ihre vollständige Kontrolle zu bekommen.
Die von der KPD erhoffte breite Streikbewegung zur Unterstützung fand nicht statt. Die „Vereinigung Republik“ - eine Vorläuferorganisation des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ - stellte ca. 800 Mitglieder für die Bewachung des Freihafengebietes zur Verfügung.
Insgesamt wurden durch die kasernierte Ordnungspolizei ca. 1 200-1 500 Beamte (von mehr als 5500) eingesetzt.
Die von der DDR-Geschichtsschreibung, KPD und DKP lange Zeit verbreitete „Aufstandslegende“ hat die tatsächliche Dimension der Auseinandersetzungen stark übertrieben, dies gilt insbesondere für die Rolle Thälmanns.
Ohne die in den Polizeiwachen erbeuteten Waffen wäre der „Aufstand“ vermutlich nach wenigen Stunden zusammengebrochen.
Bei den Auseinandersetzungen wurden 17 Polizeibeamte, 24 „Aufständische“ und mindestens 61 Zivilisten getötet, mehr als 60 Polizeibeamte und über 250 unbeteiligte Personen wurden verletzt.
Im Zusammenhang mit dem „Hamburger Aufstand“ wurden ca. 1 400 Personen angeklagt, etwa 300 verurteilt, die in der Regel aber unter die Amnestien der folgenden Jahre fielen.
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Gretzschel, Matthias: Vom Michel zur Barmbeker Barrikade. Eine doku-fiktionale Erzählung, in: History Live (Winter 2023/2024), S. 12-23.
A.III.3.b /203.2023,2
Reissner, Larissa: Hamburg auf den Barrikaden und andere Reportagen. Reprint-Ausgabe (enthält: Berlin im Oktober 1923. Brennend, an zwei Enden…), Hanau 2013 (Edition Natur & Mythos; 5).
A.III.4.g / 005
Paschen, Joachim: "Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt". Der kommunistische Griff nach der Macht im Oktober 1923, Frankfurt am Main 2010.
A.III.4.g / 011
50 Jahre Hamburger Aufstand. 1923–1973, hrsg. von der KPD/ML, Hamburg 1973.
A.III.4.g / 209
Voß, Angelika / Büttner, Ursula / Weber, Hermann: Vom Hamburger Aufstand zur politischen Isolierung. Kommunistische Politik 1923-1933 in Hamburg und im Deutschen Reich, Hamburg 1983.
A.III.4.g / 210
Pelc, Ortwin / Matthes, Olaf (Hgg.): Die bedrohte Stadtrepublik. Hamburg 1923. Kiel und Hamburg 2023.
A.III.4.g / 234
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