Besonderheiten (2) - Herbst 2015
"Die Bergung der Avare"
von Antje Büttner
Antje Büttner präsentiert uns ein außergewöhnliches Fotoalbum, das „Die Bergung der Avaré“ zeigt:
Die zur Vorlage beim Seefahrtsamt erstellte Dokumentation der Bergung des im Juni 1922 gekenterten brasilianischen Dampfers Avaré. Die Mappe mit 24 Originalfotografien wurde im Auftrag der Bugsier Bergungs- und Rettungsgesellschaft vom Hamburger Fotografen Otto Reich erstellt.
Die vordere Umschlagseite ist beschriftet mit:
Die Bergung der „Avaré“
Brutto Reg. T 8227. Netto Reg. T 4952
gekentert im Hamburger Hafen am 16. Juni 1922.
aufgerichtet am 17. August 1922.
Überreicht durch die
Bugsier-, Reederei-und Bergungs-Aktiengesellschaft.
Am linken Rand befindet sich eine handgemalte Flagge in den Farben rot, weiss, weiss, blau mit den Buchstaben B /R/ B /A. Seit 1919 das Firmenzeichen der Bugsier AG, dem damals größten Schleppbetrieb Hamburgs, der 1866 unter der Bezeichnung „Vereinigte Bugsir-Dampfschiffgesellschaft“ gegründet wurde. Im Inneren der Mappe zunächst ein „Inhalts-Verzeichnis“ mit Datierung und kurzer Beschreibung der folgenden 24 Fotografien, beginnend am Tag des Unfalls. Fast alle Aufnahmen am rechten unteren Rand, über dem Stempel des Fotografen numeriert. Die Zahlen, schon im Negativ eingefügt, weichen von der Chronologie der Übersicht ab.
Zur Geschichte der vorangegangenen Havarie: Nach einer Generalüberholung auf der Vulkanwerft kenterte der Dampfer beim Ausdocken. 26 Seeleute und 13 Hafenarbeiter fanden den Tod. Ursache des Unglücks war die unzureichende Auffüllung des Doppelbodentanks. Die frei beweglichen Wassermassen gerieten beim Andrehen der Schleppkähne in Bewegung und brachten das Schiff in die verhängnisvolle Seitenlage. ”Vier Schlepper hatten das brasilianische Schiff rückwärts aus dem Dock verholt. Es neigte sich sogleich stark nach Backbord, wobei die offenen Bullaugen bereits Wasser übernahmen, richtete sich kurz wieder auf, krängte hinüber nach Steuerbord und kam dabei schließlich zum Kentern.”(www.fof-ohlsdorf.de)
Für die Bergung des im Ellerholzhafen liegenden Schiffes wurden am Kai des Schuppens 132 Holzpfähle in den Boden gerammt als Halt für 22 schwere Dampfwinden (Zugkraft 5 Tonnen), deren Zugseile und Flaschenzüge zur Avaré führten. Die Aufstellung der Winden (Firma Podeus) ist auf der Abbildung mit der Ziffer 26 in unserem Album zu finden. Die letzte Fotografie der Mappe zeigt die Situation nach der erfolgreichen Aufrichtung am 7. September 1922. Eine ausführliche Beschreibung der Bergungsarbeiten mit tagelangen Tauchgängen, dem Einsatz von neuen Hebelböcken, Bergungsschiffen und Hebekränen findet sich in der im Herbst 2016 erschienenen Jubiläumsschrift: “150 Jahre Bugsier” von Jan Mordhorst.
Ursprünglich stammte die Avaré von der Bremer Vulkan Werft (Stapellauf 5.12.1912) und wurde vom Nordtdeutschen Lloyd unter dem Namen “Sierra Salvada” als Fracht-und Passagierschiff für die Südamerika-Route genutzt. 1917 beschlagnahmt, fuhr sie nach Ende des Ersten Weltkrieges unter brasilianischer Flagge für die Lloyd Brasileiro, die das Wrack nach dem Unfall unbedingt loswerden wollte. Der Berliner Reeder und Kaufmann Victor Schuppe kaufte die Avaré dann 1923, ließ sie umbauen und mit einem zweiten, blinden Schornstein versehen. Nichts sollte mehr an die unglückliche Havarie erinnern. Als “Peer Gynt” wurde das Schiff fortan für Kreuzfahrten ab Hamburg eingesetzt. Bis zur Abwrackung 1963 in Wladiwostok fuhr der Dampfer schließlich unter drei weiteren Namen bei verschiedenen Reedern.
Historisch wertvoll kann man den fotografischen Bericht über die bis heute größte Bergungsaktion im Hamburger Hafen nennen. Als Zeitdokument liefert die Bilderfolge bei näherer Betrachtung viele Hinweise zum damaligen Stand der Hafen-und Bergungstechnik, den Arbeitsprozessen und Unternehmensverbindungen in und um den Hamburger Hafen. Die Fotografien sind von ausgezeichneter Qualität, bis in den Hintergrund sind viele Details zu erkennen. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses erhielten verschiedene Hamburger Institutionen eine Ausgabe des Bergungungsberichts, darunter auch der Verein Hamburger Rheder. Aus deren Dankesschreiben vom 20. Dezember 1922 :
“Das Werk verdeutlicht in überaus anschaulicher Weise eine Tätigkeit, die Ihre Firma unter den schwierigsten Verhältnissen mit dem Willen auf Gelingen übernahm und mit einem Resultat durchführte, für das dem deutschen Bergungswesen und insbesondere der Bugsier-, Reederei- und Bergungs-A.G. die Anerkennung und weiterer erfolgreicher Aufstieg zweifellos nicht versagt bleiben wird.”
Die Herkunft unseres Exemplars ist noch nicht geklärt, die darin enthaltenen Originalabzüge aus Silbergelatine sind mittlerweile ein wenig angegriffen. “Ausssilbern” nennt man den Prozess, der durch den Lichteinfluss der vergangenen Jahrzehnte in Gang gesetzt wurde. Daher befindet sich das Album jetzt im blauen Schrank der Bibliothek des Vereins für Hamburgische Geschichte bis es für den nächsten interessierten Nutzer herausgeholt wird. Im Lesesaal des Staatsarchivs ist es möglich eine Sammlung von Zeitungsartikeln zu der Schiffshavarie von 1922 einzusehen.
„Die Bergung der Avare“ Signatur A VI 3c/158
(Vgl. dazu auch: Jan Mordhorst, 150 Jahre Bugsier. 2016, Signatur A.VI.3.c / 157)