Griff in die Geschichte

Richard und Ida Dehmel – Dichter und Kunstförderin in Blankenese

von Lilja Schopka-Brasch

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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten Richard und Ida Dehmel als ungewöhnliches und einflussreiches Künstlerpaar die Hamburger Kunst- und Künstlerszene. Richard Dehmel verstarb vor 100 Jahren, Ida Dehmel wurde vor 150 Jahren geboren. Beide Jubiläen bieten Anlass, an dieses schillernde Künstlerpaar zu erinnern.

Richard Dehmel (1863-1920) zählte um die vorletzte Jahrhundertwende zu den bedeutendsten deutschen Dichtern der Moderne. Er inspirierte Künstler aller Sparten zu neuen Werken. So vertonten Arnold Schönberg, Richard Strauss, Jean Sibelius, Kurt Weill und andere namhafte zeitgenössische Komponisten seine Gedichte; Maler wie Karl Schmidt-Rottluff und Ludwig Kirchner gestalteten Bildzyklen zu seinen Werken.

Ida Dehmel, geb. Coblenz, geschiedene Auerbach (1870-1942), war eine Kunstförderin. Auch sie gilt als Wegbereiterin der Moderne. Als sie Richard Dehmel 1895 in Berlin kennenlernte, waren beide noch anderweitig verheiratet und Ida war schwanger. Wie ihre Liebe nicht den gesellschaftlichen Konventionen der Zeit folgte, so suchten beide in Kunst und Literatur das Unkonventionelle, Neue. Richard Dehmel setzte in seiner Dichtung innovative, gewagte Impulse. Schon in seinen ersten Gedichtbänden fand er zu einer eigenen Form und lyrischen Sprache.
Ida wurde zu seiner Muse und Kritikerin, deren Sprachempfinden und Meinung er schätzte. Sie heirateten 1901 und zogen nach Blankenese. Hier entfaltete sich eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich die Liebe zur Inszenierung. Die gemeinsame Wohnung und später das Haus gestalteten sie als Gesamtkunstwerke und schufen sich so die Bühne für ihre Selbstinszenierung als gefeierter Dichter und Dichtergattin.

Das Dichterhaus sollte nicht nur als Dekor, sondern auch als Archiv dienen. Ida hatte schon früh begonnen, Richards Manuskripte und seine umfangreiche Korrespondenz zu ordnen. Hier erhielt die wachsende Sammlung einen würdigen Ort. Wie die beiden Bände ausgewählter Briefe belegen, stand Richard mit zahlreichen Künstlern, Literaten, Komponisten und anderen bekannten Persönlichkeiten in Briefkontakt. Nach seinem Tod widmete sich Ida dem Erhalt des Hauses und Archivs. Zu diesem Zweck gründete sie die Dehmel-Stiftung sowie die Dehmel-Gesellschaft und öffnete das Haus einer breiten Öffentlichkeit. Richard Dehmel sollte nicht in Vergessenheit geraten.
Ihre eigenen künstlerischen Leistungen hingegen dokumentierte Ida Dehmel kaum, weder in ihren Tagebüchern noch in ihrem autobiografischen (bisher unveröffentlichten) Roman. Auch sammelte sie Rezensionen ihrer Veranstaltungen und darüber veröffentlichte Zeitungsartikel nicht.
Allerdings beinhaltete Ida Dehmels Arbeit nicht nur künstlerische Aspekte, sondern auch politische. So engagierte sie sich etwa für das Frauenwahlrecht und die Förderung von Künstlerinnen. 1926 gründete sie die Gedok (Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstfördernden e. V.) und war 1931 Gründungsmitglied des ersten deutschen Zonta-Clubs, der sich auch für die Gleichberechtigung von Frauen und internationale Freundschaft einsetzt.
Als Jüdin wurde Ida Dehmel 1933 von den Nationalsozialisten gezwungen, ihre Ämter niederzulegen. Kurz vor der drohenden Deportation nahm sie sich im September 1942 das Leben. 1948 erfolgte in Erinnerung an Ida Dehmel die Neugründung der Gedok mit Sitz in Hamburg. Diese verleiht seit 1968 den Ida-Dehmel-Literaturpreis und hat erstmals im März 2020 einen Ida-Dehmel-Kunstpreis für das Lebenswerk einer Künstlerin vergeben.

Quellen und Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:

 

 

Helmut Stubbe-da-Luz: Die Stadtmütter Ida Dehmel, Emma Ender, Margarete Treuge. Ham-burg 1994.

A.I.2 / 187.07

 

Richard Dehmel: Aber die Liebe. Zwei Folgen Gedichte. Berlin 1921.

A.XI.07.a / 011


Hoffmann, Traute/Lessmann, Johanna: Der erste deutsche ZONTA-Club: auf den Spuren au-ßergewöhnlicher Frauen in Hamburg. 3. veränd. und erweit. Aufl. 2019.

A.IXI.003.a / 150


Therese Chromik: Ida Dehmel. Ein Leben für die Kunst. Husum 2015.

A.XI.07.c / 014


Caroline Vogel: Richard Dehmel in Blankenese. Berlin 2017.

A.XI.07.c / 015

 

WRWlT – o Urakkord: die Welten des Richard Dehmel. Ausstellung in der Staats- und Uni-versitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky; 3. August bis 30. September 1995. Herzberg 1995.
A.XI.07.c / 015a

 

Richard Dehmel zum Gedächtnis. 18. Nov. 1863 bis 8. Feb. 1920. Ausstellung zum zehnjähri-gen Todestag des Dichters veranstaltet von der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek. Hamburg 1930.
A.XI.07.c / 031

 

„Schöne Wilde Welt“. Richard Dehmel in den Künsten hrsg. v. Caroline Vogel. Göttingen 2020.

A.XI.07.c / 031a

 

Gustav Schiefler: Richard Dehmel. Ein literarisches Portrait. Hamburg 1961.
A.XI.07.c / 032

 

Richard Dehmel: Ausgewählte Briefe 1883 – 1902. Berlin 1923.
A.XI.07.c / 033.1

 

Richard Dehmel: Ausgewählte Briefe 1902 – 1920. Berlin 1923.
A.XI.07.c / 033.2

 

Charlotte Ueckert: Hamburgerinnen. Eine Frauengeschichte der Stadt. Hamburg 2008.
A.XIV.1 / 012