Griff in die Geschichte (57) - April 2024
Das Chilehaus in Hamburg – ein weltberühmtes Gebäude
von J. R.
In nur zwei Jahren von 1922 bis 1924 nach Plänen des Architekten Fritz Höger erbaut, ist dieses Gebäude ein äußerst imposantes Bauwerk. Es befindet sich im sogenannten Kontorhausviertel, das unter der Leitung des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schuhmacher entstand. Die meisten Häuser in der Umgebung stehen mittlerweile unter Denkmalschutz; seit Juli 2015 ist das Chilehaus mit der nahegelegenen Speicherstadt in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Nach der Cholera-Epidemie von 1892 wurden weite Teil der Stadt im Rahmen einer großangelegten Sanierungsaktion abgerissen, insbesondere die dicht bewohnten Gängeviertel. Das betraf auch den Bereich zwischen Hauptbahnhof, Rathaus, Steinstraße, Burchardplatz und Zollkanal, der zeitgemäß bebaut werden musste.
Der markante Komplex wurde als Bürogebäude konzipiert mit bis zu zehn Stockwerken auf einer Grundfläche von fast 6000qm. Der eindrucksvolle Bau sticht hervor durch eine als Schiffsbug gestaltete Ecke, die ein Echo bildet zu den nicht weit davon im Hafen liegenden Handelsschiffen. Er ist umgeben von weiteren Kontorhäusern, die zusammen ein interessantes Ensemble von ästhetischen Gebäuden für die hamburgische Kaufmannschaft bilden.
Neben dem architektonischen Design ist der Bau auffallend durch das verwendete Material von Backstein und Klinker. Der diesen Werkstoff anwendende Architekturstil wird als Klinker-Expressionismus bezeichnet, wobei Wert gelegt wird auf mehrfarbige Steine und vielformige Elemente wie Kanten oder Spitzen sowie auf variantenreiche Gliederung der Flächen und abwechslungsreiche Mauerung.
Baumeister des Aufsehen erregenden Hauses war der Architekt Fritz Höger (1877-1949), der nicht nur in Hamburg sondern auch in anderen Städten im Norden tätig war und Kirchen, Rathäuser, Schulen oder auch Fabriken baute. Mehrere tausend Entwürfe entstanden in seinem Büro. In Hamburg baute er neben Privathäusern auch Geschäftshäuser beispielsweise in der Mönckebergstraße, sein bekanntestes aber ist das Chilehaus. Dessen ungewöhnliche Form machte Architekt und Gebäude weltbekannt.
Auftraggeber war der deutsch-britische Unternehmer und Bankier Henry Brarens Sloman (1848-1931), der nach fast 30 Jahren in Südamerika nach Hamburg zurückkehrte und dessen fünf Salpeterwerke in Chile dem Gebäude den Namen gaben. Eine Inschrift am Gebäude gibt als Bauherren Henry Sloman und Söhne an. Geboren in Chile, waren beide zusammen mit dem Vater Eigentümer.
Die Fassade ließ der Bauherr mit Skulpturen und Ornamenten des Bildhauers Richard Kuöhl (1880-1961) verzieren, der auch die Treppenhäuser und Eingangsbereiche kreativ gestaltete. Er war ein vielgefragter Künstler und bekannt für seine wetterfeste Baukeramik.
Der Pioniergeist von Architekt und Bauherr fand seinen Ausdruck in einem spektakulären Bauwerk, das am 1. April 1924 eingeweiht wurde. Auch 100 Jahre nach seiner Fertigstellung übt das repräsentativste Kontorhaus Hamburgs immer noch eine Faszination aus.
Nachdem ein Sohn Henry Brarens Slomans, Ricardo Federico, zum 50. Jubiläum des Chilehauses als Co-Autor ein Buch publizierte (siehe A.IX.1/023), wird nun seine Urenkelin Irmelin Sloman zum 100. Geburtstag des Bauwerks ein bemerkenswertes Buch veröffentlichen. Hervorgegangen aus einem Nachlass-Fund der Familie erschließen sich aus unzähligen Fotographien und Dokumenten die politischen, wirtschaftlichen und logistischen Hintergründe des Unternehmers Sloman, des Gebäudes in Hamburg und der Salpetermine in der Wüste Chiles. (Die Chilehaus-Saga. Koehler, Hamburg 2024; sobald das Buch erhältlich ist, wird es in die Bibliothek aufgenommen.)
Veröffentlichungen zum Thema in unserer Bibliothek:
Busch, Harald; Sloman, Ricardo Federico. Das Chilehaus in Hamburg. Sein Bauherr und sein Architekt. Festschrift aus Anlass des 50jährigen Bestehens 1924-1974. Christians, Hamburg 1974
A.IX.1 / 023
Fischer Manfred F. Das Chilehaus in Hamburg. Architektur und Vision. Gebr. Mann, Berlin 1999
A.IX.1 / 023.a
Hipp Hermann, Meyer-Veden Hans. Hamburger Kontorhäuser. Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1988
A.IX.1 / 034
Fritz Höger 1877-1949. Der Architekt, der den Klinker zum Bau-`Edelstein‘ machte. Vier Spaziergänge in Hamburg. Hamburger Feuerkasse, Hamburg 2003
A.IX.1 / 046
Turtenwald, Claudia; Frank Hartmut (Hrsg.). Fritz Höger (1877-1949). Moderne Monumente (Katalog zur Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg vom 28.9. bis 16.11.2003 im Rahmen des Hamburger Architektur-Sommers 2003). Dölling & Galitz, Hamburg 2003
A.IX.1 / 085
Bucciarelli, Piergiacomo. Fritz Höger. Hanseatischer Baumeister 1877-1949. Vice Versa, Berlin 1992
A.IX.1 / 086
Meyhöfer, Dirk (Hrsg.) Hamburgs Backstein. Zur Geschichte des Ziegelbaus in der Hansestadt. Sautter & Lackmann, Hamburg 1986
A.IX.1 / 093
Fuchs-Belhamri, Elisabeth; Kai-Uwe Scholz. Zwischen Hamburg und Holstein: Der Architekt Fritz Höger (Ausstellungen im Wenzel-Hablik-Museum Itzehoe und im Chilehaus Hamburg im Rahmen des Hamburger Architektur-Sommers 1997). Edition Fliehkraft, Hamburg 1997
A.IX.1 / 094
Architekten- und Ingenieur-Verein zu Hamburg (Hrsg.). Das Hamburger Kontorhaus. Boysen & Maasch, Hamburg 1909
A.IX.1 / 095
Fritz Schumacher. Das Werden einer Wohnstadt. Bilder aus dem neuen Hamburg. Christians, Hamburg 1984
A.IX.1 / 175.a
