Griff in die Geschichte (11)

Die Cholera in Hamburg

Von Lilja Schopka-Brasch

Vor 125 Jahren, Mitte August 1892, brach in Hamburg die Cholera aus. Es war die letzte, aber auch die verheerendste Cholera-Epidemie in der Hansestadt. Sie verbreitete sich rasant, etwa 17000 Menschen erkrankten, mehr als 8600 starben innerhalb weniger Wochen. Heftiger Brechdurchfall und Krämpfe waren die Symptome. Allerdings waren Brechdurchfälle, besonders im Sommer, eine übliche Erscheinung und bevor der Nachweis des Erregers nicht zweifelsfrei erbracht war, wollten Ärzte und die zuständigen Behörden keine Warnungen aussprechen. Hier und da wurden Befürchtungen laut, es könne Cholera sein. Doch erst mehr als eine Woche nach dem ersten Todesfall bestätigten die Behörden diesen Verdacht.

Woher der Cholera-Erreger kam, ob durch Auswanderer aus Russland, wo die Cholera schon seit Juli wütete, oder aus Frankreich, wo ebenfalls Erkrankungsfälle aufgetreten waren, ist nicht zweifelsfrei geklärt. Sicher ist jedoch, dass sie sich über das Elbwasser verbreitete, das ungefiltert in die Hamburger Haushalte gelangte. Hamburg hatte 1892 noch keine effektive Wasserreinigung, eine entsprechende Anlage war noch im Bau. Nicht nur die Wasserversorgung war unzureichend, sondern auch die Abwasserentsorgung. Vor allem in den Hinterhöfen und Gängevierteln, den dichtbevölkerten Wohnquartieren der Armen, waren die hygienischen Zustände katastrophal. Hier fanden sich auch die meisten Opfer der Epidemie.

Der erste Verdachtsfall trat in der Hansestadt am 16. August auf, die sichere Diagnose konnte erst am 22. August gestellt werden. Und erst dann wurden Gegenmaßnahmen diskutiert und langsam umgesetzt. Dazu gehörten Aufrufe an die Bevölkerung, nur abgekochtes Wasser zu verwenden sowie die Bereitstellung von Desinfektionsmitteln. In Turnhallen wurden Desinfektionsanstalten eingerichtet, wo infizierte Kleidung hingebracht werden konnte. In der ersten Zeit mussten die Haushalte mit Erkrankten ihre Wohnungen selber desinfizieren, später übernahmen das so genannte Desinfektionskolonnen. Eine Meldepflicht über Krankheitsfälle wurde eingeführt. Tag und Nacht rumpelten die Krankentransporte durch die Straßen, hoben die Totengräber in Ohlsdorf Gräber aus.

gig cholera 1

Die Kapazitäten der Krankenhäuser reichten nicht aus, um die Erkrankten aufzunehmen. Auf dem Gelände des Allgemeinen Krankenhauses in Eppendorf wurden Baracken errichtet und ein Militärlazarett eingerichtet. Auch in anderen Stadtteilen standen bald die so genannten Cholerabaracken, was große Befürchtungen unter den Anwohnern auslöste. Unter der Überschrift „Nothschrei vom Schlump“, erregte sich ein Bürger über die Errichtung solcher Baracken „mitten in einer dichtbevölkerten Gegend“. „Im Namen aller Bewohner“ protestierte er „gegen diese geradezu barbarische Maßregel“. Die Zeitung versicherte zwar, dass eine „Ansteckung durch die Luft nach Ansicht aller Autoritäten ausgeschlossen“ sei, doch die Sorge, die Cholera könne über die Luft übertragen werden, war verbreitet. 

Ende August erreichte die Epidemie ihren Höhepunkt, dann ebbte sie langsam ab. Doch erst Mitte November konnten die Hamburger aufatmen und Hamburg als frei von Cholera erklärt werden. Nun wurde eine Reihe längst fälliger Maßnahmen zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen umgesetzt. Der Bau der Filteranlage für das Hamburger Leitungswasser wurde vorangetrieben und 1893 fertiggestellt, ebenso wurde die Kanalisation ausgebaut. Das Gesundheitssystem wurde reformiert, ein Hygiene Institut wurde eingerichtet, ein Hafenarzt eingesetzt und die Hamburger Ärztekammer gegründet. Und auch die Gängeviertel verschwanden nach und nach aus dem Stadtbild.

  

Quellen und Literatur zum Thema in der VHG-Bibliothek:

 

Bojahr, Ralf: Das hygienische Institut der Freien und Hansestadt Hamburg. Entwicklung, Aufgaben und Tätigkeit für die Bevölkerung Hamburgs in den Jahren 1892 bis 1986. Hamburg 1987.
A.VIII.1/001

Büttner, Annett: „Nachricht aus der Stadt des großen Elends.“ Die Pflege der Cholerakranken in Hamburg im Jahr 1892 durch Kaiserswerther Diakonissen. In: ZHG 93, Hamburg 2007.
A.1.2/198

Deneke, Theodor: Die Hamburger Choleraepidemie von 1892. In: ZHG 93, Hamburg 1949 [der Artikel wurde 1942 in Teilen in der Medizinischen Wochenschrift gedruckt].   
A.1.2/198

Evans, Richard J.: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholerajahren 1830 -1910. Ausdem Englischen von Karl A. Klewer. Reinbek bei Hamburg 1990.     
A.VIII.1/038

Ders.: Death in Hamburg. Society and politics in the cholera years 1830-1910. Oxford 1987.
A.VIII.1/039

Griese, Carl: Zum Besten des Nothstandes. Aus schwerer Zeit. Aus Tageblättern gesammelt von Carl Griese, nebst Anhang von Originalzeichnungen Hamburger Künstler. Hamburg 1892.           
A.VIII.1/055

Ders.: Bericht des Sicherheits-Comités für den Vorort Rotherbaum, mit 9 Skizzen inficierter Wohnungen mit einem Übersichtsplan in Farbdruck. Hamburg 1893.                  
A.VIII.1/004

Huch, Ricarda: Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren. Berlin o. J. 
A.XI.7a/75

Im Kampf gegen die Seuche hrsg. v. d. Schülke und Mayr AG Hamburg rückblickend auf fünfzig Jahre „Lysol“. Köthen o. J. [1939].           
A.VIII.1/151

Michael, J.: Geschichte des Ärztlichen Vereins und seiner Mitglieder: Den Mitgliedern zum 80.jährigen Stiftungsfeste gewidmet. Hamburg 1896.
A.VIII.1/112

Rosenfeld, Angelika: Hamburg in den Zeiten der Cholera hrsg. v. d. Behörde für Arbeit und Soziales. Veranstaltung zur Erinnerung an die Epidemie 1892.  Hamburg 1992. 
A.VII.1/004

Dies.:„Ich vergesse, daß ich mich in Europa befinde!“ Geschichte der Hamburger Cholera-Epidemie von 1892. 
A.VII.1/041

 

 

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